Erfahrungsbericht: Mein Schloss am Meer

Vale of Glamoran, Wales, UK

Ich bin mir sicher, dass wir alle eine oder vielleicht auch mehrere Erfahrungen gemacht haben, die wir meist für uns behalten und nur selten versuchen es näher auszuführen, nur weil wir wissen, dass sich das Erlebte und Gefühlte nicht in Worte fassen lässt – ja, dass Worte niemals all diese gesammelten Emotionen und Eindrücke auch nur ansatzweise beschreiben könnte und vor allem könne es niemand verstehen, der nicht selbst dabei war… auch wir selbst würden es nicht verstehen oder könnten es uns auch nur vorstellen, wenn wir es nicht selbst erlebt hätten. Genau hierfür hab ich erst vor Kurzem ein Wort entdeckt. Für uns Entdecker und Abenteurer ein ständiger Begleiter:

„Exulansis: The tendency to give up trying to talk about an experience
because people are unable to relate to it.“

Mein Name ist Hajk und die letzten zwei Jahre meines Lebens, verbrachte ich am United World College of the Atlantic (oder kurz: UWC AC). Es waren für mich mit Abstand die schönsten meines Lebens… – und, wer weiß, vielleicht wird das auch für immer so sein.

Wie oben schon angedeutet, lässt sich auch das UWC Atlantic College sehr schwer in Worte fassen. Daher habe ich mir gedacht, erkläre ich euch ein wenig von der Idee der Schule und anschließend erzähle ich euch einige Erlebnisse –den Rest malt ihr euch in eurer Fantasie bunt oder am besten: entdeckt es doch mal selbst. 😉

Das UWC Atlantic College haust in einem mittelalterlichen Schloss direkt am Strand im Süden von Wales/Vereinigtes Königreich und ist eines von mittlerweile 14 UWC-Schulen weltweit. Die Idee ist es Bildung, zu einer Kraft zu machen, die Menschen, Nationen und Kulturen für Frieden und eine nachhaltige Zukunft zu vereinen. Hierbei werden Jugendliche aus allen Erdteilen, aus allen sozialen Schichten und aus allen kulturellen Kreisen für zwei Jahre zusammengebracht um miteinander zu lernen, lehren und zu leben. Bis heute ist das UWC Atlantic College mein geistiges Zuhause. Besonders dort konnte ich mich ganz ausleben. Unbefangen von irgendwelchen Zwängen, Ängsten und Sorgen. Ein UWC – das ist endlose Freiheit.

Ankunft in einem neuen Kapitel

AC AC, hach AC. Ich könnte jetzt die weiteren Seiten nur mit AC-Schwärmereien füllen,… aber fangen wir erstmal an: Ich weiß noch ganz genau wie unwissend ich im Bus saß, vom Heathrow Airport nach Atlantic College, und wie ein Neugeborenes ich mich das erste Mal in meiner neuen Welt umsah… Ein verzaubernder Campus mit Schloss und Meerblick. Mir war bewusst: ein neues Kapitel meines Lebens hatte begonnen.

Die Induction Week gewährte mir einen kleinen Einblick in dem, was einem erwartete. Doch so richtig angekommen fühlte ich mich erst, nachdem ich die Ice-Breaker-Spiele im Gemeinschaftsraum meines Schülerhauses spielte. Wrestling-Game, hieß es: hindere die Person vor dir am Aufstehen: hach jaa, das war lustig.

AC ist einfach eine riesengroße Familie in einem eigenen Mikrokosmos, daher fiel es einem leicht sich aufgenommen und geborgen zu fühlen. Ein besonders wichtiger Mensch für mich in meinem ersten Jahr war mein deutscher Second-Year (Schüler, die bereits ihr zweites Jahr an der Schule zubringen) Constantin. Mein bester Freund. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es wohl gewesen wäre, wenn wir uns nicht begegnet hätten. Wie zwei Brüder sind wir bis heute immer mit Rat und Tat füreinander da – ja, wie haben uns sogar gegenseitig schon als Trauzeugen versprochen.

Unvergessen werden all diese schönen Erinnerungen bleiben… Jeder Gang zum Irish Pub wurde zum Ziel selbst. Noch schöner war der Rückweg, wenn man leicht angetrunken unter dem über sich erstreckenden Sternenhimmel mit Personen, mit denen mal normalerweise nicht verkehrt, über die schönsten Dinge redet, philosophiert und neue Freundschaften schließt.

Freizeitbeschäftigungen

Ich musste mich hier in Deutschland wirklich erstmal daran gewöhnen, dass ich nicht mal eben einen Spaziergang am Strand machen kann. Ich musste mich auch daran gewöhnen, dass es nicht normal ist bei kaltem Wetter abends rauszugehen und mit seinen Freunden ein, zwei Bierchen zu teilen. Uuuund dass es nicht normal ist vor dem Schlafen „Gute Nacht“ aus 32 Sprachen zu hören. haha. Abgesehen von all diesen Freizeiterlebnissen erlaubte mir AC so Vieles auszuprobieren und so Vieles dazuzulernen. Ich lernte das Surfen, das Segeln, das Schwimmen – ja, wurde auch glücklicherweise durch hartes Training Rettungsschwimmer und genoss es wirklich sehr in meiner Funktion aktiv zu sein. Ich fand es besonders schön, anderen Mitschülern das Schwimmen beizubringen – besonders weil dies meist Mädchen aus konservativen Hausen waren, in deren Kulturkreisen es nicht angebracht ist, dass Frauen sich derart beschäftigten. Es war wirklich jedes Mal so lustig mit ihnen und zeitgleich so schön, die ersten Erfolge mitzuerleben und sich mit ihnen zu freuen.

Auch toll waren unsere Einsatzorte, wie zum Beispiel in Tenby beim Iron-Man Triathlon (Foto ganz oben). Hier hatten wir die Möglichkeit die Theorie in der Praxis umzusetzen: jeder hatte was zu tun. Ich hatte die Möglichkeit zwei erschöpfte Schwimmer aus dem Wasser zu fischen und auch eine alte Dame mit einer Rückenverletzung zu behandeln bis die Sanitäter eintrafen.

Die Patrouillen am Strand waren auch jedes Mal ein Vergnügen. Man war dort tatsächlich für acht Stunden mit einer Handvoll Rettungsschwimmern am Strand und war regelrecht gezwungen miteinander zu reden und zu lachen – super! Besonders wenn es Leute sind, die man eigentlich nicht kennt und sich am Ende dennoch eine felsenfeste Freundschaft daraus entwickelt.

Was ich noch vermissen werde ist Rugby: wir waren echt ein tolles Team. Es war jedes Mal ein Riesenspaß – ja, auch trotz der Verletzung und auch trotz der ganzen dreckigen Wäsche nach dem Spiel, das man mühsam selbst herauswaschen musste. Und auch wenn wir gefühlte zehntausendmal in den größten Schlammhaufen geworfen wurden, war es einfach super, darüber zu lachen und die ausgestreckte Hand des Freundes anzunehmen und weiterzuspielen.

Ich hatte einen mordsmäßigen Spaß die Middle-Eastern Conference zu organisieren, wo große Persönlichkeiten wie Jeremy Bowen vorsprachen und mit uns gemeinsam über Lösungen für den Nahen Osten diskutierten.

Ein besonderer Favorit unter meinen Freizeitbeschäftigungen waren die Friday Night Lectures. Gemeinsam mit zwei Mitschülern luden wir die interessantesten Redner überhaupt ein und führten im Anschluss Diskussionsgespräche mit ihnen – besonders toll war es mit ehemaligen Schülern unserer Schule. ‚Eines Tages werde auch ich hier stehen und von meinen Erfolgen und Taten berichten‘, dachte sich jeder im Saal.

Erfreulicherweise wendete sich alles noch besser für mich. In meinem zweiten Jahr machte ich meine erste Begegnung mit der Liebe. Ich verliebte mich in die Schwester meines besten Freundes, die als mein First-Year dazukam. Also für all die Leute, die ebenfalls vorher nie die Hoffnung hatten, es gäbe diese eine Person – AC hilft. Man lebt ja quasi wie ein Ehepaar auf engem Raum miteinander und ich muss sagen: es gab nichts erfreuendes als den Weg nach der Schule zum Schülerhaus mit nur einem Gedanken im Kopf: die Geliebte zu sehen. AC ist wahrlich aphrodisierend haha

Doch AC war wirklich nicht immer ein Ort der Freude. Ich hatte besonders in meinem First Term zum Ende hin, mit meiner Selbstfindung zu kämpfen und brauchte einige Zeit  um herauszufinden, wer ich wirklich bin. Neue Orte geben einem ja immer die Chance sich neu zu erfinden: das tun viele und veruntreuen sich selbst und werden dann am Ende unglücklich, weil sie nicht mehr sie selbst sind. Ich lief Gefahr genauso zu werden. Doch AC ist eine Familie. Und jede Enttäuschung und jegliche Negativität konnten wir alle gemeinsam kaschieren und wuchsen durch unsere Fehler.

“What doesn’t kill you, makes you stronger.” ist wahr!

Besonders gefielen mir die kleinen Einzelheiten am AC. Zum Beispiel habe ich so geliebt, dass meine Freunde immer um mich herum war. Ich hatte so viele Freunde, auf die ich zählen konnte, dass ich sogar schon überfordert war. Ich hatte meine Zimmergenossen, die Rettungsschwimmer, meine Hausfreunde, meine Klassenkameraden, meine National Groups, hach eine endlose Liste.

Nunja, ich könnte so endlos fortfahren, doch ein simples Dokument mit einigen Fotos reicht wirklich nicht aus um ein AC-Leben wiederzugeben. So ein Dokument kann nicht all die Geräusche und Klänge, die Gerüche und Atomsphäre oder die Emotionen widerzuspiegeln, die gesamtes AC-Leben von der Geburt bis hin zum Erwachsenwerden einem darlegt. Jeder Fleck am AC hat eine Geschichte und alles erinnert mich an irgendwas. Wenn ich den Turm unseres Schlosses jetzt immer auf Bildern sehe, dann kann ich nur daran danken, wir am vorletzten Abend dort eingebrochen sind und die wundervolle Aussicht zusammen mit Freunden genossen haben. Die Hügel auf der Hauptstrasse erinnern mich an die unzähligen Male, wo ich Leute getakelt habe und mit ihnen dann dort gekuschelt und den Himmel betrachtet habe. Alles hat eine Story.

Es ist wirklich schwer nicht nostalgisch zu werden, während ich das hier schreibe… und abschließend kann ich nur sagen, dass AC mir nicht nur die Türen zu sonst fast unmöglichen Zielen und Erfahrungen geöffnet hat sondern auch mir die Chance gegeben hat, mich selbst zu verwirklichen – ja, ich selbst zu werden.

Alles was von AC mir nun verblieben sind die schönsten Erinnerungen, Freunde fürs Leben und mehrere Narben – jede mit einer verrückten Geschichte!