Ein Auslandssemster in Italien

Venedig, Italien

Ciao, ich bin Caro und 21 Jahre alt. In meinem fünften Semester im Literaturstudium an der Uni Bielefeld habe ich mir gedacht, etwas Neues erleben zu wollen, habe mich für ein Erasmusstipendium beworben, meine Koffer gepackt und bin für vier Monate nach Italien gegangen. Mein Ziel war Venedig, eine Stadt, bei der einem gleich viele kitschige Assoziationen einfallen – Gondeln, Sonnenuntergänge, alte Kirchen, Karneval, große Palazzi, Pizza und Unmengen an Touristen. Aber die Stadt ist viel vielseitiger und moderner! Gerade am Anfang, wenn man sich einen Weg durch das Labyrinth der Gassen und Brücken bahnen muss, ist allein der Alltag ein kleines Abenteuer für sich. Neben all den Sehenswürdigkeiten hat die Stadt aber mit all ihren modernen Galerien und Museen, vor allem aber durch die Biennale und das große Programmangebot drumherum mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick annimmt.

Die ersten Schritte in Richtung Italien

Eigentlich hat es mich schon immer ins Ausland gezogen, aber irgendwie hat es nie richtig gepasst. Erst das Abi, erst das Studium, die Klausuren, die Praktika. Erst ein wenig arbeiten, um sich einen Auslandsaufenthalt finanzieren zu können. Und dann stand schon das vierte Semester vor der Tür und damit zeitlich die letzte Möglichkeit, sich innerhalb des Bachelorstudiums für ein Erasmussemester zu bewerben. Dass ich noch einmal raus wollte, war keine Frage. Das Erasmus-Programm erwies sich dafür als eine sehr gute Möglichkeit: als ein Stipendium wird es finanziell vom Staat unterstützt und kann problemlos im Studium eingeplant werden. Einmal im Jahr, im Frühling, kann man sich an der Uni Bielefeld für das darauffolgende Wintersemester oder für das übernächste Sommersemester an einer der Partnerunis bewerben. In der letzten Minute ging ich zu der Sprechstunde des zuständigen Programmdirektors, meinem Professor, um mich zu informieren. Dass es nach Italien gehen sollte, stand für mich von Anfang an fest. Zwar konnte ich kaum ein Wort Italienisch, doch meine große Liebe zu Pizza und Pasta überwog gemeinsam mit all den schönen Kindheitserinnerungen aus Urlauben und machte mir die Entscheidung damit ganz leicht. Nach Venedig gehen zu können, war eine erstmalige Gelegenheit für Studenten unserer Uni. Nachdem ich den Papierkram inklusive Lebenslauf, Transkript und Motivationsschreiben sowie zusätzlich einem Empfehlungsschreiben abgegeben hatte, bekam ich mit ein wenig Glück den Platz schon am nächsten Tag zugesagt. Damit hatte ich knapp ein Jahr, bevor ich tatsächlich meine Koffer packen würde die Nominierung meiner Hochschule in der Tasche. Umso länger musste ich aber noch auf eine offizielle Zusage der venezianischen Universität warten, die erst Ende Oktober bei mir eintraf. Hierfür gab es auch noch zahlreiche Dokumente zu übersetzen und ein Learning Agreement auszufüllen. Darin legt man vor der Abreise schon fest, welche Kurse im Ausland belegt und für welche Module sie in Bielefeld wiederrum angerechnet werden sollen.

Vorbereitungen für das Erasmussemester

Schon bevor es auf und davon ging, suchte ich rund zwei Monate lang nach einer Unterkunft. Gerade in einer für Touristen und Studenten beliebten, aber dafür sehr kleinen Stadt ist die Suche besonders aufwendig. Ganz besonders für Jungs, da in Venedig die weiblichen Studenten überwiegen und in den üblicherweise angebotenen Doppelzimmern Mädchen meist bevorzugt werden. Da für mich persönlich ein für italienische Studentenverhältnisse seltenes Einzelzimmer sehr wichtig war, dauerte die Suche etwas länger. Die Wohnungsportale im Internet haben mir nicht weitergeholfen. Aber irgendwann hatte ich Glück – und fand über eine Facebookgruppe in einer Vierer-WG ein kleines Zimmer. Diese sieben Quadratmeter sollten für die kommenden vier Monate mein neues Zuhause sein.

Unterstützung durch das Buddy-Programm

Schön war, dass ich schon vor meiner Abreise Kontakt zu meinem Buddy Elisa aufgebaut hatte, die mir anbot, mich nach meinem kurzen Hinflug direkt von der Bushaltestelle abzuholen. Dies erwies sich als mehr als hilfreich, denn sich mit ein wenig Sorgen vor all dem Neuen und einer großen Portion Aufregung im Gepäck auch noch den Weg durch Venedigs Straßenlabyrinth zu bahnen, wäre nicht gerade einfach gewesen. Elisa begleitete mich also zu meiner Wohnung, nachdem ich in Venedig angekommen war und half mir bei meinem ersten Einkauf. Wir organisierten zusammen ein paar wichtige Dinge, wie die italienische Handykarte, und aßen auf all den Trubel abschließend ein Eis zusammen. Auch in den nächsten Monaten hatte Elisa von da an immer ein offenes Ohr für mich, ob ich krank war, in der Uni Hilfe brauchte oder andere kleine Hürden zu bewältigen hatte.

Die ersten Erfahrungen in Venedig – Ein Vorgeschmack auf „La dolce vita“

Zusammen mit anderen Studenten des Buddy-Programmes hatte die Uni den Welcome Day organisiert. Während einer Führung durch die verschiedenen Gebäude der Uni, die über die ganze Stadt verstreut sind, hatten wir Gelegenheit, uns besser kennenzulernen. Von Australien über Tirol, Österreich und England bis hin zu Kanada, Holland und Polen: In dieser bunten Gruppe, in der wir den ersten Tag verbrachten, blieben wir für die ganze Zeit des Aufenthaltes zusammen. Wir lernten die Italiener, ihre traumhaften Städte und ihr leckeres Essen auf Reisen besser kennen und meisterten die kleinen und größeren Abenteuer des Alltags gemeinsam. Dazu gehörten das ein oder andere Mal Heimweh, das aber gemeinsam leicht zu bewältigen war: mit einem gemütlichen Abend und einem Lieblingsfilm, einem Glas Aperol auf dem Campo oder einem selbstgemachten Kartoffelsalat, der ein wenig nach Heimat schmeckte. Weil darüber hinaus meine Kochkünste aber eher begrenzt sind und ich meist sehr viel unterwegs war, hatte ich großes Glück, dass meine spanischen Mitbewohner sehr gut kochen konnten und oft eine Portion für mich übrig hatten. Ansonsten gab es in Venedig kulinarisch aber auch viele Möglichkeiten: wenn man seine Zeit nicht am Herd verschwenden wollte, traf man sich nach der Uni auf dem Campo Santa Margherita auf einen Aperol und Cichetti. Beides sind venezianische Spezialitäten, die man rund um die Uhr in einer der vielen Bars zum kleinen Preis kaufen kann, um sich dann an einen Kanal auf eine Mauer zu setzen oder mit vielen anderen Studenten auf dem Campo zu stehen. Und natürlich schmeckte die typische italienische Pizza auch in Venedig besonders gut. Da das Essengehen in Venedig aber auch immer etwas teurer ist, nutzten wir im Sommer eine andere Möglichkeit, die sich in dieser schönen Stadt bietet: egal, um welche Ecke man geht und in welche Gasse man einbiegt, hat die Stadt zauberhafte und besondere kleine Plätze, Stege, Ufer und Piazzen, an denen es sich anbietet, es sich mit einem Stück Käse und einem Ciabatta gemütlich zu machen und zuzuschauen, wie die Sonne langsam zwischen den Häusern im Wasser versinkt. An solchen Abenden zeigt sich die entspannte, ruhige Seite der Stadt. Die Gelassenheit der Italiener ist in solchen Momenten spürbar, die manchmal zwischen der Aufregung und Hektik der Unmassen an Tagestouristen untergeht.

Die verschiedenen Seiten der Stadt

Darin zeigt sich auch die Vielseitigkeit der Stadt, die in so vielen Aspekten bemerkbar ist. Allein der Unterscheid zwischen den wie ausgestorbenen Gassen und Plätzen und der völlig überfüllten Strada Nuova, an der entlang sich vorbei an der Rialtobrücke bis hin zum Markusplatz die Hauptgeschäftsmeile befinden. Da die Stadt recht klein ist und es nur drei Brücken gibt, die über den Canal Grande führen, kommt man an manchen Orten nicht vorbei und steckt, anstelle des Berufsverkehrs und Staus, oft in den kleinen Gassen, zwischen all den Leuten fest. Aber nicht immer ist die Stadt so überfüllt – macht man sich beispielsweise nachts auf den Heimweg, ist sie fast wie ausgestorben, doch trotzdem fühlt man sich in den gemütlichen Gassen, in denen sich die alten, verzierten Häuser aneinander reihen, immer sicher. Bloß, wenn es nachts das berühmte Hochwasser gibt, das „Aqua Alta“, das sich besonders schön am Markusplatz zeigt, wenn sich die Lichter der Arkaden in dem modrigen Wasser spiegeln, begegnet einem Nachts der ein oder andere neugierige Passant. Zu Hochwasserzeiten, wenn die Stege in den Gassen aufgebaut werden, hat es auch etwas amüsantes, die Menschenmassen über die Holzbretter balancieren zu sehen. Und wenn es doch einmal alles zu viel wird, kann man sich in eines der wunderschönen Museen, in eine Galerie oder Kirche flüchten. Und an einem heißen Tag kann man immer noch auf das nächste Boot springen, das alle Viertelstunde Richtung Lido ablegt. Mit Bikini, Sonnenhut und Unibüchern in der Strandtasche kann man sich im „Freibad Venedigs“ auch den einen oder anderen Lerntag versüßen.

Studieren in Venedig

Allein der Weg zu den täglichen Vorlesungen gestaltete sich so besonders, dass es sich kaum wie Alltag anfühlte. Ständig führte einen der Weg an prächtigen Kirchen, süßen, kleinen Häusern und schönen Brücken vorbei. Besonders am Anfang, als die Wege noch neu waren und fast jeder Kurs in einem anderen Gebäude stattfand, lernte man auf all den Umwegen durch das ständige sich Verlaufen immer wieder etwas Neues kennen. Anstelle einer überfüllten Straßenbahn brachten uns morgens die sogenannten Vaporetti, Boote, die über den großen Hauptkanal schippern, zur Uni. So kurzweilig der alltägliche Weg zur Uni war, so schnell verstrich auch die Zeit in der Uni. Vor allem der Sprachkurs war unglaublich interessant, weil wir in einer Gruppe von Studenten aus aller Welt viel voneinander und über die italienische Kultur lernten. Zwar hatte der ein oder andere Kunstgeschichtskurs auch mal seine Längen, dafür aber konnte ich mit dem Wissen über die Stadt und die italienischen Künstler später für meinen Besuch als Stadtführerin fungieren. So viel zu lernen war natürlich interessant, dafür aber auch recht arbeitsaufwendig. Insgesamt musste ich fünf Prüfungen á sechs Credits ablegen, um auf 30 Leistungspunkte zu kommen. Wäre ich durch einen Kurs durchgefallen, wäre es sicher auch nicht schlimm gewesen, aber trotzdem war ich erleichtert, am Ende alle Prüfungen bestanden zu haben. Zugegeben, bei all dem, was es in Italien zu entdecken und zu erleben gab, blieb nicht immer allzu viel Zeit zum Lernen, aber die Professoren hatten dafür Verständnis und haben den Austauschstudenten gegenüber immer mal ein Auge zugedrückt. Die mündlichen Prüfungen, die ich größtenteils ablegen musste, waren meist mehr wie ein Gespräch, in dem man sich über den Stoff der letzten Monate unterhält. Auch hier machte sich also die Leichtigkeit und Gelassenheit der Italiener bemerkbar.

Auf Streifzug durch Italien

Öffentliche Verkehrsmittel sind in Italien relativ günstig und es gibt viele tolle Angebote, um sich bequem durchs Land zu bewegen und auszutesten, wo das Eis am besten schmeckt und die Pizza am leckersten ist. Letzteres war in Neapel der Fall. Elf Stunden lang schlugen wir im Bus die Zeit tot, um den Geburtsort der Pizza zu besuchen. Aber auch auf weiteren Touren zog es uns aus unserer neuen Lieblingsstadt heraus in die anderen Ecken des Landes. Da Venedig eine einmalige Lage hat, sodass man mit wenig Zeitaufwand in wunderschöne Städten wie Verona, Mailand, Bergamo, Bologna oder Florenz, aber auch nach Kroatien oder Slowenien reisen kann, nutzten wir natürlich jede Gelegenheit. Andersherum wurde Venedig auch zum beliebten Reiseziel meiner Freunde und Familie, die die Möglichkeit nutzten, sich durch einen Besuch bei mir Hotel und Reiseführer zu sparen.

Fazit

Als dann alle Prüfungen geschrieben und damit die Hektik der letzten Wochen verstrichen war, ging es auch schon wieder ans Kofferpacken. Bei all der Fülle an Erlebnissen und den unzähligen neuen Eindrücken, ist es schwer, das Erasmussemester in ein paar Sätzen zu beschreiben. Genauso vielseitig, wie die Stadt selbst ist, war auch meine Zeit dort. Zwischen Hektik und Gelassenheit, Regentagen und Wochenenden am Strand. Zwischen kleinen Ausflügen mit Freunden und Tagen, an denen man allein zu Hause bleibt, weil man wegen Krankheit oder Klausuren ans Bett gefesselt ist. Zwischen Mensaessen und Pizza und Pasta, solchen Tagen, an denen man die Stadt und ihre Touristen anstrengend findet und solche, an denen man wiederrum selbst als Tourist auf Entdeckungsreise geht. Zwischen Alltag und Abenteuer, Heimweh und Fernweh. Zusammengenommen aber, war es eine unglaublich wertvolle Zeit. Indem man aus seinem gewohnten Umfeld herauskommt, lernt man nicht nur eine Menge über eine neue Kultur, sondern vor allem über sich selbst. Man lernt, mit neuen Situationen zurechtzukommen, aber auch, wie schnell Neues wieder zu Alltag wird und wie schnell ein fremder Ort durch Freunde und schöne Erlebnisse zu einem zweiten Zuhause werden kann. Vor allem aber wird einem auch bewusst, wie schnell die Zeit vergeht und wie wichtig es ist, neben all den Pflichten des Alltags einfach die Zeit zu genießen, sich mit netten Freunden und einem Glas Aperol an das Ufer des Kanals zu setzen und einfach den Moment wirken zu lassen. Vielleicht ist das trotz all der Seminare, all den neuen Sprachen und Orten das Wichtigste, was ich in der Zeit erfahren und gelernt habe – mir Zeit zu nehmen, und mit ein wenig Gelassenheit auf die Dinge um sich herum zu blicken.